Vergiftete Quellen - Journalisten und Huren
Nehmen wir einmal an, man würde über das Friseurhandwerk in Deutschland berichten. Wäre der erste Anruf bei der Kriminalpolizei, um herauszufinden, wie viele Betrugsfälle es beim Schneiden und Föhnen gegeben hat? Oder beim Gesundheitsamt, um festzustellen, wie viele Friseurinnen den Chemikalien nicht standhielten, die in diesem Gewerbe verwendet werden? Oder etwa die örtliche Caritas-Beratungsstelle, um zu ermitteln, wie viele Frauen diesen Beruf nicht ertragen können und vorzeitig aufgeben? Oder das örtliche Büro der Feministinnen, um sich darüber klar zu werden, ob der Beruf mit der Würde der Frau vereinbar ist? Wären die Informationsquellen das Hörensagen oder die Seifenoper? Natürlich nicht. Man würde eine Recherche machen, gründlich nachfragen, die Handwerkskammer anrufen, in die Ausbildung hineinsehen, Vor-Ort-Termine wahrnehmen, Gespräche mit den Meisterinnen, Gesellinnen und Lehrlingen führen, Kunden befragen und sich letztendlich auch mal selbst in den Stuhl setzen.
Gründliche Recherche ist doch selbstverständlich? Nicht bei Huren. Wer etwas über ihr Gewerbe wissen will, nutzt die Quellen, die ihm gefällig sind: Natürlich die Kriminalpolizei, natürlich die Gesundheitsbehörde und dazu ebenso "natürlich" noch Sozialarbeiter(innen), von den anderen obskuren Quellen einmal ganz abgesehen.
Schauergeschichten sind besonders beliebt
Besonders das Hörensagen scheint es den Berichterstattern da angetan zu haben: "Milieu, Rotlichtdistrikt, Drogenstrich": eine frierende Frau, die dennoch mit kurzem Rock im Winter am Straßenrand steht, um Geld für den nächsten Schuss zu haben: Das rührt den Leser. Noch besser: Skandalgeschichten um Menschenhändler, vor allem, wenn prominente Männer die Dienste ihrer Opfer gekauft haben. Mit solchen Artikeln lässt sich dann auch noch der Herr Biedermann oder die Frau Feministinnen gewinnen: "Seht doch, wie schrecklich das alles ist", und wieder werden die Archive nach Polizeiberichten durchwühlt, werden Kriminalbeamte, Sozialarbeiter, Feministinnen und Psychologen befragt. Sie alle mögen denken, sie seien wirklich objektiv, doch würde man solche Informationen aus zweiter Hand bei jedem anderen Berufsstand ablehnen - nur bei den Huren ist es, wie es scheint, die Regel.
Keine Mühe machen - kaum recherchieren
Natürlich ist es nicht einfach, korrekt zu recherchieren. Die Hure hat keine Kammer, bei der man sich nach den groben Fakten erkundigen kann, keine Gewerkschaft, die Auskunft über die Tarife gibt und keinen Ausbildungsplan - und Huren sind nicht wirklich redselig, wenn es um ihren Beruf geht - viele haben schlechte Erfahrungen mit der Presse, und dies teilweise durchaus zu Recht.
Wer bitte, ist eigentlich eine "Hure"?
Das Problem beginnt schon, wenn man sich fragt, wer denn eine Hure ist: Das Straßenmädchen und die Mieterinnen im Bordell werden noch am ehesten als Huren identifiziert. Doch dann hört es schon auf. Teilzeithuren, Studentinnen im Begleitservice und Hausfrauen mit Nebenverdienst treten kaum jemals in die Öffentlichkeit - sie haben etwas zu verlieren, wenn sie ihre Doppelrolle auf Dauer spielen wollen. Doch nicht nur "Prostituierte" arbeiten in der Lustwirtschaft: Da wäre die Damen, die bei Anruf Lust versprechen, die Internet-Damen, die sich per Mausklick ansprechen lassen und vor allem jene Damen, die als "Peitschenladys" bekannt geworden sind.
Sie alle muss man würdigen, indem man sie ernst nimmt. Vielleicht hilft dieser einfache Satz, Journalisten zu mehr Respekt gegenüber Huren zu verhelfen.
Auf in die Praxis:
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